Konzertkalender in+um Düsseldorf

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(05/06 2020)

Mit Kreativität kommen wir über die Krise hinweg!

Mit Kreativität kommen wir über die Krise hinweg!

Prof. Dr. Hartwig Frankenberg
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg

Während er eine „Petite Madeleine“ – jenes feine und edle Gebäck in Gestalt einer Jakobsmuschel – verträumt in eine Tasse dampfenden Lindenblütentee taucht, öffnet sich ihm urplötzlich und unter Glücksgefühlen das Tor zur Erinnerung an seine ferne Kindheit. Es ist eine vom französischen Schriftsteller Marcel Proust (1871-1922) überlieferte Szene über den flüchtigen, überaus folgenreichen Anlass und Augenblick zur Entstehung seines weltberühmten Romans „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Das riesige, siebenteilige Werk, das er von 1909 bis zum Ende seines Lebens in großer Besessenheit und Faszination schrieb, erzählt die Geschichte seines eigenen Lebens als allegorische, permanente Suche nach subjektiver Wahrheit und Wirklichkeit.

Auch Claude Monet (1840-1926), den impressionistischen Maler, verfolgte Zeit seines Lebens ebenso konsequent das obsessive Festhalten von flüchtigen Augenblicken: So hielt er sich während des Sommers 1870, am Vorabend des französisch-preußischen Krieges, mit seiner jungen Ehefrau Camille im mondänen Seebad Trouville an der normannischen Küste auf. Sein Gemälde mit dem Titel „Das Hotel Des Roches Noires in Trouville“, das dort – typisch für einen impressionistischen Maler – unter freiem Himmel entstand, zeigt den damals üblichen Aufenthalt der französischen Großbourgeoisie.

FOTO: COMMONS.WIKIMEDIA.ORG | © SAILKO

Das Original findet sich übrigens im Pariser Museè d’Orsay und erhält im Online-Katalog u.a. folgende empathische Würdigung: „Das Werk trägt aber auch Monets eigene Handschrift, es ist ein hervorragendes Beispiel für die technische Kühnheit des Malers. Sein suggestiver, schneller Pinselstrich vermittelt den Eindruck, dass sich die Fahnen bewegen, und belebt den Himmel mit den verschwommenen Umrissen der Wolken. Das Hochformat betont den Kontrast zwischen der Standfestigkeit der Figuren auf der unteren Bildhälfte und der Unbeständigkeit der Elemente im oberen Teil. Die Fahne im Vordergrund kommt durch die rot-weißen Streifen, die einen sehr freien Duktus erkennen lassen, besonders zur Geltung.“ (www.musee-orsay.fr)

Es ist sicher kein Zufall, dass uns diese heroische Flagge diesmal als Rätselbild für unsere Titelseite im Bild-Ausschnitt zur Verfügung steht.

Vorstehende Szenerie von Monet bringt man gerne mit Marcel Proust in Verbindung, der sehr oft mit seiner „Herzensmama“ in dem Grandhotel von Trouville weilte. Es diente ihm als eines der Vorbilder für das berühmte Hotel von Balbec in seinem Romanwerk. Und noch heute finden hier im Herbst die Jahrestagungen der Marcel-Proust-Gesellschaft statt, wie mir der Düsseldorfer Konzertpianist Franz-Josef Birk begeistert erzählte. Er selbst verbringt dort in der Gegend – gerade auch als glühender Anhänger impressionistischer Kunst, Literatur und Musik – schon mal ein paar Tage und schwärmt: „Monet sehen ist für mich wie Debussy hören!“

Drum ist es mir eine Genugtuung, Ihnen in dieser Ausgabe des „Konzertkalenders in+um Düsseldorf“ einmal mehr eine außergewöhnliche Persönlichkeit vorzustellen, die das Musikleben in und um die Landeshauptstadt auf kreative Weise bereichert: Aufgrund der allgemeinen Corona-Situation konnte nach Absage durch die Stadtverwaltung auch der Abend mit dem Düsseldorfer Pianisten leider nicht, wie geplant, am 31. März in der Düsseldorfer Musikbibliothek live stattfinden. Stattdessen führten wir das Interview mit dem überaus tiefgründigen und brillanten Künstler ausnahmsweise (in einer gewissen Vorahnung) schon vorab durch – leider ohne Publikum.

Franz-Josef Birk mit seiner vitalen Kraft in puncto Wahrnehmung, Ideen-Konzept und pianistischer Gestaltung können wir auch hier im geschriebenen Interview gut nacherleben. Genügend Tonbeispiele mit unmittelbarem Internet-Zugang werden im Interview angeboten. Denn auch hier lässt er uns an seiner Passion für impressionistische Flügel-Klänge und differenzierte Augenblicks-Farben ausgiebig teilhaben. Kein Wunder, dass ihm die Musikkritik immer wieder künstlerisch-pianistische Fähigkeiten attestiert, die kaum zu erlernen sind. In seiner besonderen Ästhetik könnte man ihn gut und gern als anspruchsvollen Einzelgänger in der schöpferischen Unendlichkeit beschreiben, der sein Dasein als eine einzige Hommage an die Kunst zelebriert. Sein nächster Live-Auftritt wird dies gewiss erneut beweisen!

Übrigens ist das Treffen mit Franz-Josef Birk mittlerweile das 40. Interview, das ich seit Übernahme des Konzertkalenders 2013 führen durfte. Alle Gespräche seitdem finden Sie ja – samt den dazu gehörenden Editorials – im Archiv von www.konzerte-in-duesseldorf.de!

Bleiben Sie also gesund und nutzen Sie die konzertanten Angebote im Internet, vielleicht auch die digitalen Möglichkeiten in der vorliegenden Konzertkalender-Ausgabe – nicht nur im Interview, sondern ebenso in der völlig neuen Rubrik „Digitale Konzerte“. Für beide Optimierungen sorgte übrigens unser Online-Gestalter Joachim Rensing in Bielefeld!

Kreativ kommen wir über die Krise hinweg – und bleiben in Verbindung!

Herzliche Grüße – auch von dem Leiter der Düsseldorfer Musikbibliothek, Herrn Thomas Kalk –


Prof. Dr. Hartwig Frankenberg

Editorial

Titelgrafik: Michel Schier, Düsseldorf