Konzertkalender in+um Düsseldorf

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(03/04 2017)

Empfindsamkeit bei geöffneter Tür

Empfindsamkeit bei geöffneter Tür

Prof. Dr. Hartwig Frankenberg
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg

Als quirlige Unterprimaner unternahmen wir 1962 eine klassische Studienfahrt nach Amsterdam. Im Rijksmuseum bestaunten wir nicht so sehr die ehrwürdig-düstere Nachtwache von Rembrandt, sondern begegneten dort aus nächster Nähe zufällig dem komplett in Weiß gewandeten jungen Komponisten Karlheinz Stockhausen: Inmitten zeitgenössischer Malerei gab er den verdutzten Museumswärtern Anweisungen für eine abendliche Klanginstallation.

Ganz andere, wiederum neue Klänge begegneten mir am folgenden Tag beim Gang entlang der Grachten, als mein Blick in die Schaufensterauslage eines kleinen Schallplattengeschäftes auf eine 45er Vinyl-Aufnahme fiel: Fantasien für Clavichord von Carl Philipp Emanuel Bach. Irgendetwas reizte mich an dem Cover, und ich betrat einen kuscheligen Laden im Souterrain. Der nette Inhaber verfrachtete mich zunächst in eine der damals üblichen Probehörkabinen – wollte schon die Tür schließen, ließ sie jedoch offen, da ich einziger Kunde war, um die Musik im großen Raum besser erschallen zu lassen.

Die ersten Sonnenstrahlen durchfluteten den noch frühen Morgen, und es ergoss sich eine rauschhafte Musik über mich, deren Instrument ich noch nie zuvor gehört hatte – ein Clavichord. Es klang ungeheuer wild, leidenschaftlich, bewusst, tiefgreifend, erweckend, mitreißend!

„Aus der Seele muss man spielen und nicht wie ein abgerichteter Vogel!"
C.P.E. Bach (1714–1788)

Selbstverständlich hat mich diese Aufnahme sehr lange begleitet. Geblieben ist die Erinnerung. Zu meiner Beschämung kann ich mich noch nicht einmal an eine genaue Werkangabe oder an den Namen des Solisten erinnern. Sicher war es nicht der Pianist und Fan von C.P.E. Bach, Michael Rische, der damals noch nicht auf der Welt war, den ich aber vor gut einem Jahr unter den Besuchern unserer Reihe „Musik im Gespräch!" kennenlernte und sofort zum Interview einlud, das jetzt am 31. Januar in der Musikbibliothek stattfand. Redaktionell gefasst finden Sie die überaus lebendige Begegnung (samt Musikbeispielen) im vorliegenden Konzertkalender (Seite 12–20)! In seinem Wesen und in seinem Klavierspiel verkörpert Michael Rische (für mich) jene seltene Impression, die soeben oben als subjektiver Höreindruck von 1962 beschrieben wurde.

Spätestens seit Entdeckung der Klavierkonzerte von C.P.E. Bach steht Rische für Erneuerung: Entdeckung unbekannter Meisterwerke (ebenso Erwin Schulhoff und George Antheil) sowie Entwicklung neuer Interpretations-Konzepte (Kadenzen). Das Rätselbild auf dem Außentitel zeigt eine Szene aus einer TV-Dokumentation von A. Kluge sowie den Ausschnitt einer Originalhandschrift (Staatsbibliothek Berlin) von C.P.E. Bachs Klavierkonzert in d-moll Wq 23. Es handelt sich hier um die Orchestereinleitung des 3. Satzes. Dieses Werk hatte Michael Rische als erstes Klavierkonzert des berühmten Bach-Sohnes einstudiert. Es kann nur bei geöffnetem Innenraum wahrgenommen werden – so wie die anderen Werke von „CPE" auch!

Herzliche Grüße –
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg

Editorial

Titelgrafik: Michel Schier, Düsseldorf