Konzertkalender in+um Düsseldorf

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(07/08 2018)

Das Leben als Experiment!

Das Leben als Experiment!

Prof. Dr. Hartwig Frankenberg
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wächst – direkt hinter der Dorfkirche – in einem von den Franzosen besetzten Winzerort an der saarländisch-loth­rin­gischen Mosel ein Junge auf, Sohn einer Schneiderin und ohne Vater – vom gewaltigen Klang der benachbar­ten Orgel wird er eines Tages ver­zau­bert. Ein markanter Satz, der den Beginn einer Erzählung, einer Re­por­tage oder eines Films darstellen könnte – ein Satz, der jedenfalls Neugier er­zeugt, wie sich aus einem Anfang die ganze Geschichte eines Menschen entwickeln kann.

In der Reihe „Musik im Gespräch!“ der Düsseldorfer Musik­bibliothek – die Interviews folgen bekanntlich jeweils 4 Wochen später in gedruckter Fassung hier im Konzertkalender – steht zu Beginn des Abends immer die Frage nach der ersten und frühesten Begegnung mit der Musik. Befragt werden Musiker, Instrumentalisten, Sänger, Chorleiter, Orchester-Dirigenten und Komponisten sowie Persönlichkeiten, die der Musik als Veran­stalter, Intendanten, Professoren, Kulturschöpfer oder Manager in einer für sie definierten Form sehr nahestehen oder mit ihr direkt verbunden sind. Dabei können wir immer wieder über­rascht erfahren, wie aus dem experimentellen Wechsel- und Ineinander-Spiel von eigenen Wünschen, Fantasien und Talenten der Kandidaten sich in der Begegnung mit den Zufällen, Chancen und Zwängen der Außenwelt dann doch singuläre Menschen entwickeln! Darunter sind oft auch Doppelbegabungen, welche die Musik früher einmal ernsthaft betrieben haben oder auch jetzt noch aktiv ausüben.

Zu Letzteren zählt etwa Prof. Dr. Karlheinz Schüffler , 2015 emeritierter Mathematik-Professor an der Hochschule Niederrhein, der aber immer noch als aktiver Hochschullehrer an der Heinrich-Heine-Universität wirkt. Er ist übrigens der einstige Junge von der Mosel (s. o.), der sich schon seit vielen Jahrzehnten als begeisterter Chorleiter und Organist betätigt, fleißig Konzerte gibt und seit 2004 außerdem als Vorsitzender den Förderverein Walcker-Orgel in Krefeld repräsentiert. Dass für ihn Mathematik und Musik keine isolierten Parallelwelten darstellen, sondern einen aus beiden Bereichen bestehenden Integral-Kosmos mit experimenteller Herkunft verkörpert, konnten wir am 29. Mai im Gespräch mit ihm eindrucksvoll erfahren – und nun hier im Interview für Sie als Leser nachvollziehbar machen.

Professor Schüffler hat über einen Teilaspekt dieses faszinierenden Kosmos ein Buch mit dem skurril klingenden Titel geschrieben: Pythagoras, der Quintenwolf und das Komma (2017). Diese Publikation gründet u. a. auf seinen Erlebnissen, wenn er als Organist häufig auf Reisen war und dabei immer wieder von den unterschiedlichsten Stimmungen der Instrumente überrascht wurde. Theoretisch gefasst finden sich seine Erfahrungen und Überlegungen in der künstlerischen Titel-Grafik des vorliegenden Heftes. Ihr liegt die sogenannte pythagoreische Quintenspirale zugrunde, welche nicht nur das wichtigste Modell einer methodischen Skalenkonstruktion beschreibt, sondern die auch simultan die Problematik der Temperierung mit reinen Intervallen sichtbar machen soll: Die Reinheit der Stimmung ist nicht vereinbar mit der Vereinfachung des Tonsystems als geschlossener Quintenzirkel, wie er uns als Tonmodell der 12-Stufenskala zumindest aus fernen Schultagen noch vertraut sein dürfte.

Vielleicht eine weitere Erkenntnis: Unsere Reihe „Musik im Gespräch!“ sowie der „Konzertkalender in+um Düsseldorf“ – mit seinen redaktionellen Interviews und Ankündigungen von Musik-Veranstaltungen – bewähren sich einmal mehr als neidlose Spurensucher für das aufregende Leben als Experiment!

Herzliche Grüße –
Prof. Dr. Hartwig Frankenberg

Editorial

Titelgrafik: Michel Schier, Düsseldorf

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